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Frohe Weihnachten

Liebe Freunde,

Anfang Dezember wälze ich meine Kochbücher und plane ein Drei-Gänge-Menü für meine Freunde. Dieses Jahr musste ich mir neue Rezepte besorgen, die man in Twist-Off-Gläser füllen und ausliefern kann. 2020 war ein Jahr, wie wir es noch nicht erlebt haben und ich hoffe nur, 2021 steht nicht schon bereit und sagt, „Halt mal mein Glas!“.

Für mich teilte sich das Jahr in zwei Hälften. Unheimlich war die erste Jahreshälfte mit menschenleeren Straßen mitten in der Innenstadt, ausgeräumten Regalen in Supermärkten und Menschen, die nicht wissen, wie sie mit der neuen Situation umgehen sollen.
Schön zu sehen aber, dass das Leben doch einen Weg findet. So habe ich jeden Abend mit meinem Patensohn telefoniert und ihm eine halbe Stunde vorgelesen. Ich habe mir auch verschiedene VoIP-Nummern geschaltet, so dass auch ausländische Freunde mich unkompliziert anrufen können. Bis dahin hätte ich gesagt, dass dies die skurrilste Erfahrung meines Lebens war, aber der zweite Akt hat alles übertroffen.

Die zweite Hälfte des Jahres begann am 3. Juni um 15:30 Uhr, als ich mit dem Fahrrad die Bordsteinkante hochfahren wollte, stürzte und meine Halswirbelsäule verletzte. An der Unfallstelle sind beide Arme und das rechte Bein gelähmt. Letzteres zuckt dafür unkontrolliert. Es folgt eine Episode aus Grey’s Anatomie: Ich sah Decken von Krankenhausfluren vorbeiziehen, meine Kleidung wurde zerschnitten und ein Dutzend Ärzte untersuchte mich. Die erste Nacht auf der Überwachungsstation konnte ich an meiner rechten Hand den kleinen Finger strecken. Die anderen Finger waren so kraftlos, dass nicht einmal der Touchscreen meines Handys reagierte. Den rechten Arm konnte ich über den Kopf heben, aber nicht wieder senken: Dann fiel er mir aufs Gesicht.
Es begann ein Weg, der leider und hoffentlich noch nicht zuende ist und der zunächst 2½ Monate durch drei Kliniken führte. Die Bandscheiben C4/5 und C5/6 wurden am 12. Juni in einer fünfstündigen OP entfernt. Ich mache erste Schritte mit einer Gehbank, laufe mit Rollator, lerne, mit Krücken und schließlich frei zu gehen. Für die rechte Hand ist die Butter zum Frühstück anfangs zu hart und das Messer kann ich nur mit einer Griffverdickung halten. Selbst eine halbe Stunde im Rollstuhl sitzen, strengte mich an und ich wurde kaltschweißig. Mittlerweile ist die rechte Hand zwar langsamer als ihre Schwester, aber ich kann wieder tippen, greifen und Teig kneten und meine Kondition reicht für die täglichen Aufgaben.

In puncto Reisen steht das Ergebnis 2:2 für Corinna. Im März, als sie noch in den Startlöchern stand, fing ich in Toulouse und Montpellier ein paar erste Sonnenstrahlen und kraxelte in der mittelalterlichen Stadt Carcassonne auf Burgmauern herum, um ein 3D-Foto von um 1930 nachzustellen. Im September, als Corinna kurz verschnaufte, war ich beim D.A.CH-3D-Treffen in Speicher. Fun fact: In Appenzell stoße ich mit dem Kopf an die Decke, wenn ich geradestehe. Vor allem war es aber der Beweis, dass ich noch allein verreisen kann.
Aber Corinna holte auch zum Gegenschlag aus: Tschechien hatte die niedrigsten Zahlen in ganz Europa. So traute ich mir, einen Wochenendtrip zu planen. Pünktlich am Tag vor meiner Reise wurde Prag zum neuen Risikogebiet erklärt. Wir lernten also dazu, buchten mit flexibler Stornierung ein Wochenende im Inland und Olaf und ich überprüften beim Morgenkaffee nochmals die Zahlen bei Tagesschau und RKI vor der Abfahrt. Wir waren dann auch ganze 20 Stunden in Bremen, denn Corinna hat Humor und wir staunten nicht schlecht, als die Stadt am Abend im nationalen Fernsehen zur neuen Hochburg erklärt wurde.

Was lernt ihr aus diesem Jahr? Ich bin pragmatischer geworden: Was nicht ist, geht nicht. Also überleg Dir etwas anderes. Die entgangene Querschnittslähmung hat mich auch etwas philosophisch-hinterfragend zurückgelassen: Ein Vierteljahr war ich komplett aus meinem Leben gerissen, tat völlig andere Dinge. Ich spüre nicht, ob die Dinge, die mir vorher wichtig waren, noch wichtig sind. Was ich sehr wohl sagen kann, ist, welche Menschen mir am Herzen liegen. Ich habe noch kein Jahr so viele Eisbecher gegessen mit lieben Menschen, die mich in der Reha besucht haben. Auch, dass so viele von Euch mir Fotos auf Threema geschickt oder angerufen haben, um mir die Zeit zu vertreiben und bei mir zu sein, hat mich tief berührt.
Was wollen wir im neuen Jahr behalten? Online zu unterrichten ist nicht generell schlecht. Mir scheint eine Mischung am effektivsten. Ich habe mir eine Wii U gekauft – die Spielekonsole, mit der man Sport machen kann. Mein Patensohn ist mit 14 Jahren langsam ein junger Mann, aber ich hoffe, dass er mich noch oft besucht und wir um die Wette im virtuellen Eiskanal rodeln. Bei einem großen internationalen Verlag bin ich eine Runde weiter und hoffe, ein neues Phonetik-Lehrbuch zu schreiben. Das erste Kapitel ist fertig.

Ich freue mich, im kommenden Jahr Teil Deines Lebens zu sein.


Frank Lorenz

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