FRANÇAISENGLISH

Liebe Freunde,

Der Weihnachtsbrief.

Wir sind umgezogen. Noch immer wohnen wir in Leipzig, aber nun in der „Alten Heeresbäckerei“. Der rote Klinkerbau wurde zwischen 1895 und 1897 als Kornspeicher für die Armee erbaut, zwischenzeitlich vom VEB Getreidehandel und dem Backwaren­kombinat Leipzig genutzt und jetzt durften wir eine herrlich geräumige Wohnung hier beziehen. Dieses war nur eines von vielen Großereignissen in diesem Jahr, die ich in guter Tradition mit Euch teilen möchte.

Meine Arbeitswelt hat sich deutlich technologisiert. In Trainings hantiere ich nicht mehr mit Videokamera, Notebook und Kabeln, sondern habe alles auf dem Tablet und schicke den Bildschirminhalt übers WLAN an einen Chromecast. An der Uni müssen sich Studierende die Grundlagen meiner Phonetik-Vorlesung in kurzen Videoclips selbst aneignen und ich im Gegenzug in der Vorlesung nicht bei Null beginnen. Das bedeutete zwar, dass ich im September den Stoff von 14 Wochen Vorlesung in drei Wochen in die Kamera erzählen musste. Dafür kann ich jetzt in der Vorlesung sofort im Stoff einsteigen.

Ans andere Ende der Welt nach Melbourne hat mich im Sommer die Phonetik geführt. Habe ich letzten Winter mit Fieber über meinen Daten gesessen, bekam ich nun die Chance diese zu präsentieren. Melbourne ist nett, nur dass im August November ist, fand ich nicht witzig. Deshalb musste ich mich bei Hin- bzw. Rückflug in Singapur und Bangkok aufwärmen. In Bangkok ging die Klimaanlage aus, sobald man die Schlüssel­karte aus dem Lesegerät an der Tür entfernte. Als ich deshalb um eine zweite Schlüsselkarte bat, kam stattdessen ein junger Angestellter mit und probierte ein Dutzend Dummie-Kredit- und Kunden­karten. Da das Lesegerät sich so nicht überlisten lies, wurde ein weiterer junger Mann mit Schraubenzieher und Stirnlampe gerufen und das Gerät kurzerhand überbrückt.

Einen nationalen Wochenendkongress für 150 Teilnehmer habe ich schon zweimal organisiert. Einen globalen einwöchigen Kongress für 250 Teilnehmer zu organisieren, denn das war der ISU-3D-Weltkongress in Lübeck im August, ist eine ganz andere Nummer. Zum Glück war ich nicht Kongressmanager, aber es blieb genug Arbeit für mich übrig. Im Vorfeld, wenn in Melbourne mein Tag zuende ging, war es in Deutschland gerade Morgen und ich erhielt Texte zum Übersetzen und Korrekturlesen. Vor Ort in Lübeck dauerte es mehrere Stunden, die Namensschilder zu bestücken und einen kompletten, schweißtreibenden Vormittag, die Kongresstaschen zu füllen. Aber es war der tollste Kongress, den ich bisher erlebt habe, auch weil ich inzwischen so viele Freunde gewonnen habe, die wiederzusehen eine Freude ist und welche mein Leben bereichern.

Als Olaf mich fragte, ob wir anstelle unseres üblichen Großstadturlaubs nicht mal auf eine Alm fahren wollen, habe ich ihn zunächst gefragt, wer er ist und was er mit meinem Ehemann gemacht hat. Aber Freunde haben uns zu sich eingeladen und fuhren mit uns quer durch die Schweiz. Beeindruckend war der Morgennebel, der durchs Tal der frankoschweizer Alpen zog oder auch die mittelalterliche, nur leider auch sehr touristisch überlaufene Stadt Gruyères. Famos und sehr schweizerisch fand ich Bauprofile: Wir lernten, dass wer (an-)bauen will, den Umriss vorher mit Pfählen und Fähnchen abstecken muss, damit sich die Nachbarn ein Bild machen und gegebenenfalls widersprechen können. In Basel verbrachten Olaf und ich anschließend noch ein lässiges Wochen­ende. In der Papiermühle schauten wir zu, wie Papier gefertigt und gedruckt wird, fuhren mit den Fähren, die einzig durch die Strömung des Flusses getrieben werden und aßen mehr Röstis als die Welt­gesundheits­organisation jährlich befür­worten würde.

Ziehe ich ein Resümee, so bin ich, denke ich, glücklich. Im letzten Jahr habe ich klarer gesehen, was ich in diesem Leben noch erreichen kann und will, aber auch, was vielleicht nicht mehr möglich ist oder was ich mir nicht mehr geben muss. Auf jeden Fall sollten wir nächstes Jahr etwas zusammen trinken gehen. Wenn ich zurückschaue, machen mir die langen Stunden Arbeit nichts aus, es sind aber auch nicht die Momente, die ich im Herzen trage. Lass uns nächstes Jahr ein paar Erinnerungen erschaffen!


Frank Lorenz