Weihnachtsbrief FRANÇAIS
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Liebe Freunde,

Eine Erkältung hält mich seit Wochen fest in Geiselhaft. Irgendwo zwischen krank und gesund habe ich das Gefühl, wie ein Marathon­läufer dieses Jahr die Ziellinie und Weihnachten nur mit letzter Kraft zu erreichen. Es war viel los dieses Jahr und gab auch viele zähe Strecken. Aber so ganz generell würde ich doch sagen: „Eh, ich hab es gerockt!“

Viel Freiheit brachte mir meine BahnCard 100. Für einen viermal vierstelligen Betrag kann man ein Jahr lang in ganz Deutschland jeden Zug benutzen. So kann ich nicht nur jeden Tag zur Arbeit pendeln und die Abende gemein­sam zuhause mit meinem Mann verbringen, sondern ebenfalls spontane Reisen unter­nehmen. Zur Einweihung im April überlegte ich mir eine Liste von Städten, die ich schon immer sehen wollte, wo aber sicher ein Tag reichen würde: Bremen, Wuppertal, Trier und Koblenz in einer Woche. Mein Highlight? Schwebebahn über einem Fluss fahren ist unschlagbar und im Museum für Früh­industrialisierung lernen, wie man sehr wohl die Ware schützte, nicht aber die Arbeitskräfte, half auch Dinge in Perspektive zu setzen.

Der 3D-Kongress in Berlin würdigte das 90jährige Jubiläum der DGS. Dazu waren sogar meine Engländer Mike und Mary angereist, auch wenn beide mich am Flughafen Schönefeld ignorierten, obwohl ich Ihnen ein Schild mit dem M&M-Logo quasi unter die Nase hielt. Leider alterte ich fünf Jahre in zwei Sekunden als die Schiff­fahrts­gesellschaft anrief und meinte, am Sonntag gäbe es eine Groß­demonstration auf der Spree, so dass sie mir leider siebzig Karten erstatten müssten. Dank gebührt der Touristen­information, die auf die Frage, wie sechs Dutzend Kongress­teilnehmer alternativ zu bespaßen seien, mit Rat und Tat und privater Handy­nummer zur Seite standen.

Dass Prag wunderschön ist, durfte ich im Sommer wieder entdecken. Der übernächste 3D-Weltkongress sollte nach England gehen: Das hatte die organisierende Person letztes Jahr unbedingt durch­gesetzt. Dieses Jahr nun hatte man es sich anders überlegt und nachdem ich mich von meinem Herzinfarkt erholt hatte, besuchte ich als amtierender 3D-Präsident die Tschechen, ob sie nicht einspringen wollen. Gutes tschechisches Bier im Letná-Park mit Blick über die Stadt sorgte aber für die nötige Tiefen­entspannung. Einzig das Hotel war schwierig: Sicher einst der Stolz sozialistischer Wertarbeit, hatte man gegen die unerträgliche Sommerhitze nur einen Tisch­ventilator aufzu­bieten.

In Lissabon setzte ich eine inzwischen nette Tradition fort, ver­brachte eine Woche Urlaub mit meinen Eltern und spielte Reise­leiter. Wunder­bar wie kompakt die Stadt ist. Ermüdend die steilen Berge, aber praktisch die Aufzüge, die wie der Eingang eines Büro­gebäudes aussehen, auch innen wie ein normaler Fahrstuhl, aber oben zur anderen Gebäude­seite öffnen und einen so nach oben zum Kastell bringen. Dort das Tuk-Tuk mit gekühlten Plastik-Weingläsern und dazu­gehörigem Wein mit grandioser Aussicht auf Korksteinen – schöner können Erinnerungen nicht sein.

Ein Professor zu sein, war nie das erklärte Ziel meiner Karriere. Als die Professur für Sprech­wissen­schaft mit Schwerpunkt Phonetik an der M.-Luther-Universität Halle ausgeschrieben wurde, war mein Herz dennoch etwas wehmütig. Umso cooler, dass solche Ausschreibungen lange dauern und ich so ebendiese Professur im Wintersemester vertreten durfte. Es macht großen Spaß, sich so richtig in phonetische Themen zu vertiefen. Und als ob das nicht genug Arbeit wäre, habe ich ebenfalls meine Eye-Tracking-Studie ausgewertet und hoffe, diese auf der großen Phonetik-Tagung nächstes Jahr vorzustellen.

Andere Reisen führten Olaf und mich nebst Schwiegermutter zum Eisbären im Rostocker Zoo. Dieser versuchte kontinuierlich, die Scheibe einzu­schlagen, um an die Besucher zu kommen. Optisch grandios, aber ein bedrückendes Gefühl. Ich besuchte die Regionalgruppen der DGS in Rheinland, Ruhrgebiet und München. Die Wanderung auf dem Dachstein, wo Österreicher und Schweizer gleichermaßen meine Leipziger Tieflands­bucht­schuhe mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis betrachteten, war ebenso schön wie der Besuch der 3Dimensionale in Wien, wo jedoch das erste Mal mein Handgepäck gewogen wurde, was mich zu einer auto­didaktischen Lektion in kreativem Umpacken zwang. Mein lang­jähriger Kollege aus Köln besuchte endlich mal Leipzig, was allerding zu reichlich Verwirrung führte als da „Andreas in Leipzig“ im Kalender stand. Zumindest in meiner Generation ist Andreas ja doch weniger ein Vorname als eine Sammelbezeichnung.

Für 2019 wünsche ich Euch die Zeit glücklich zu sein and die Einsicht, dass das meiste, was man teilt, doppelt so schön ist.

Frank

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