Weihnachtsbrief

Liebe Freunde,

❅ Wenn ich auf dieses Jahr zurückschaue, stellt sich ein Gefühl großer Zufriedenheit, Ruhe und Glückseligkeit ein. Und während ich diesem Gedanken nachhänge, hält wie im Film abrupt die Musik an, eine Plattenspielernadel kratzt und irgendeine innere Stimme sagt: „Eh, das war aber auch ganz schön viel!“ Für alle, die jetzt erst zuschalten, eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Monate.

❅ Klassisch würde ich bei Silvester beginnen. Wir waren in Bratislava. Es war wahnsinnig kalt. Die Stadt ist eine hübsche, kleine Hauptstadt und es war überraschend, wie viele, auch junge Menschen sehr gut, freiwillig und mühelos Deutsch sprechen. Aber dieses Jahr muss ich am ersten Juli anfangen. Dem Tag, an dem Olaf und ich den Plan, eine wilde Ehe zu führen, aufgaben, um eine ganz reguläre einzugehen.

❅ Der Tag unserer Hochzeit war für mich einer der schönsten meines Lebens. Wahrscheinlich, weil wir es weder erwarteten, noch darauf aus waren. Von der Vorbereitung, wo wir immer mindestens ein Jahr zu spät zu kommen schienen, spüre ich zwar noch immer den Muskelkater vom vielen Augenbrauenhochziehen. Dafür hätte der große Tag selbst nicht besser sein können. Flink buk ich morgens um sechs die Zitronenbaiser-Torte fertig. Die Rede der Standesbeamtin war nicht nur eine Rechtsbehelfsbelehrung, sondern tatsächlich berührend. Die Feier ein schönes Sommerfest mit Freunden aus allen Lebenslagen. Orange blinkten die Aperol-Spritz-Gläser von der Veranda. Stolz informierte mich mein Patenkind, dass er schon fünf Stück der Hochzeitstorte verputzt hätte, ohne brechen zu müssen. Kurzum, der perfekte Tag für Klein und Groß.

❅ Zwei möglicherweise lebensverändernde Kongresse besuchte ich in diesem Jahr. Beim Phonologie-Kongress in Aarhus, wo der Campus wunderbar grün, der Weg dorthin unterschätzt steil, die Verpflegung aber gesund und gut und guter Kaffee abwesend war, stellte eine wahnsinnig nette belgische Kollegin nicht nur fest, dass die Fähigkeit zum korrekten Nachahmen von Lauten keine Rückschlüsse auf den Grad eines fremdsprachigen Akzents zulässt, sondern auch ich, dass ich ebenfalls so geile Sachen erforschen und damit jetzt durchstarten will.
Für den anderen Kongress war ich Kongress-Manager: der 3D-Kongress der DGS in Weimar. Die Gästehäuser der EJBW mitten im Grünen hinter der Ilm waren ein Traum und es war ein toller Kongress. Und wie das so ist, wenn man etwas gut macht, dann darf man bleiben und so wurde ich zum Vorsitzenden der DGS gewählt. Der Umzug des Archivs war interessant: Jeweils ein oder zwei Kartons pro Ausgabe unserer Vereinszeitschrift bei vier Ausgaben im Jahr seit 2002 bis zum Dach meines PKWs. Sagen wir so: Mir kam mehrmals das Wort „Achsenlast“ in den Sinn.

❅ Dass eine Dame aus İstanbul auf der Weiterreise nach New York am Frankfurter Flughafen die Sicherheitskontrolle vorzeitig verlässt und deshalb ein Terminal mit 10.000 Passagieren evakuiert werden muss, brauchte nicht an dem Tag passieren, an dem Olaf und ich nach Kanada fliegen. Von der halbstündigen Verspätung beim Abflug waren nach achtstündigem Flug noch 30 Minuten übrig und als ich dann die Schlangen bei der Einwanderung sah, war ich mir sicher, dem Universum war es lieber, wenn wir nicht mit dem nächsten Flieger, sondern per Bus dreieinhalb Stunden von Montréal nach Québec weiterreisen. Der Empfang durch Olafs Tante, Cousinen und deren Töchter und Söhne war rührend. In der Familienpackung entdeckten wir Tante Irmgards Haus in der „Wisteria Lane“, Softeis von Chocolat favoris mit Ahorngeschmack und Schokoladenüberzug, dem Olaf sogleich verfiel und die filmkulissengeeignete Kleinstadt Burlington in Vermont.

❅ Und die anderen, die mir nah am Herzen liegen? Hannes schaffte es mit den Jungs ganze fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn zum Bergtheater in Thale. Ich hatte zwanzig Minuten eher gehofft und zwanzig Minuten später gedacht – also genau in der Mitte. Konstantin blieb noch eine Woche und dank der Vermittlung neuer Raumbildfreunde aus Berlin, konnten wir an der Uni Leipzig einem Glasbläser zuschauen. Bei einem zehnjährigen Jungen kann man Gefühle nicht mehr direkt feststellen, aber wieder zuhause hat er vor seinen Brüdern wohl sehr geschwärmt.
Mit meinen Eltern habe ich als Reiseleiter einen wunderbaren Urlaub in Barcelona verlebt. Ein Höhepunkt war der Ausflug auf den Hausberg Tibidabo. Zuerst mit der historischen blauen Straßenbahn, weiter mit einer Standseilbahn aus dem Jahr 1901 (Gibt es in Spanien eigentlich TÜV?), fühlte sich das richtig wie ein Sonntagsausflug an und oben angekommen, ist man fast in den Wolken. Letzteres mag romantisch klingen, ist aber eigentlich nur kälter und nasser. Im Restaurant Torre de Alta Mar oben in der alten Seilbahnstation erlebten wir ein Stückchen Magie: Bei unserer verfrühten Ankunft unterhielt sich die verrückte Künstlerin des Viertels mit dem Empfang. Keine zwanzig Minuten später waren Baskenmütze und Schlabberhose gegen schwarze Bluse, engen cremefarbenen Rock und knallroten Lippenstift getauscht und wir sahen uns der Restaurantleiterin gegenüber, die mit zurückgeworfenem Kopf durch ihr Reich stolzierte.
Auch mit M&M gab es ein Wiedersehen: Mike und Mary von der englischen 3D-Gesellschaft. Der Ort des Kongresses glich einem englischen Herrensitz. Wie ein so günstiger Preis möglich ist, zeigte sich in einem Paradebeispiel wirtschaftlichen Handelns beim Abendessen: Erstens war das vornehme runde Dinge auf meinem Teller einfach nur eine ausgestochene Kartoffel. Wer wie ich das trotzdem recht verschwenderisch findet, dem sei gesagt, dass zweitens am nächsten Abend das runde Türmchen aus Kartoffelbrei bestand inklusive einiger Schalen.

❅ Für die verbleibenden Wochen wünsche ich Euch allumfassende Gemütlichkeit. Für das neue Jahr die Achtsamkeit, gute Dinge in Eurem Leben zu pflegen, die Beherztheit, neue gute Dinge zu schaffen und eine zufriedene Gelassenheit mit den weniger guten Dingen. Olaf und ich feiern das neue Jahr in Stockholm. Ich nehme Euch im Herzen mit und werde gedanklich mit Euch anstoßen.

In Liebe, Frank

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